
Ambulante Palliativversorgung: Begleitung in der letzten Lebensphase
Nachdem ein Mensch oft mehrere Jahre oder Monate durch einen ambulanten Pflegedienst versorgt wird, kommt irgendwann der Zeitpunkt des Abschiednehmens. Wünscht sich die pflegebedürftige Person zu Hause zu versterben, und ist die allgemeine ambulante Palliativpflege (AAPV) nicht ausreichend, wird diese durch eine spezielle ambulante Palliativversorgung (SAPV) ergänzt. Hanne erklärt euch, was häusliche Palliativpflege bedeutet, welche Palliativpflege der Pflegedienst Sensus derzeit leistet und welche persönlichen Erfahrungen sie speziell auf menschlicher Ebene gemacht hat.
Hanne hat als ambulante examinierte Krankenschwester, Altenpflegerin und Pflegedienst-Inhaberin des ambulanten Pflegedienstes Sensus viele Pflegebedürftige auf ihrem letzten Lebensweg und ihre Angehörigen begleitet. Dazu habe ich ihr ein paar Fragen gestellt.
Was bedeutet ambulante Palliativversorgung und welche Unterschiede gibt es?
Hanne: Ambulante Palliativpflege bzw. Palliativversorgung bedeutet Betreuung, Pflege und Versorgung Schwerstkranker und Sterbender. Manche Menschen werden über Jahre palliativ versorgt, bei anderen dauert die letzte Lebensphase nur Wochen. Unterschieden wird zwischen der allgemeinen und der speziellen Palliativversorgung. Grundlegend leistet jeder ambulante Pflegedienst die allgemeine Palliativversorgung (AAPV). Muss der/die Patient:in allerdings medizinisch und betreuerisch aufwendig versorgt werden, benötigt er/sie SAPV. Die spezielle Palliativversorgung wird entweder von einem Palliativpflegedienst oder einem häuslichen Pflegedienst mit spezieller ambulanter Palliativversorgung angeboten. Dazu muss der Pflegedienst mindestens drei examinierte Pflegefachkräfte haben, die eine Zusatzausbildung in „Palliative Care“ absolviert haben. Zu den speziellen medizinischen Versorgungen zählen beispielsweise Infusionstherapien über eine Port-Anlage, orale Schmerztherapien und subkutan Injektionen. Der Palliativpflegedienst ist ausschließlich für die spezielle medizinische Versorgung zuständig. Wurde dieser engagiert, ist es sinnvoll, weiterhin die Leistungen des regulären ambulanten Pflegedienstes in Anspruch zu nehmen, der den/die Patient:in ergänzend versorgt. Hinzu kommt ein intensiver Austausch mit behandelnden Palliativärzt:innen und Therapeut:innen. Außerdem unterstützt unter anderem ein ambulantes Hospiz oder eine Seelsorge Patient:innen und Angehörige seelisch und nach Wunsch auch spirituell. SAPV steht somit für ein engmaschiges palliatives Netzwerk beziehungsweise ein speziell ausgebildetes Palliative Care Team.
Zusammengefasst leistet das Palliative-Care-Team:
- ärztliche und pflegerische Versorgung
- Ruf-, Notfall- und Kriseninterventionsbereitschaft rund um die Uhr
- psychosoziale Unterstützung/Seelsorge durch den ambulanten Pflegedienst und ambulante Hospizdienste oder Sozialarbeit/Seelsorge
Übrigens: Seit 2007 haben alle unheilbar kranken und lebensverkürzend erkrankte Personen, die aufwendig versorgt werden müssen, einen Anspruch auf eine SAPV. Diese wird entweder von einem Arzt oder einem Krankenhausarzt verordnet und muss von der Krankenkasse genehmigt werden. Während der Palliativpflegedienst über die Krankenkasse abgerechnet wird, übernimmt die Pflegekasse die Leistungen für den ambulanten Pflegedienst.
Welche Palliativpflege bietet derzeit der Pflegedienst Sensus an?
Hanne: Der Pflegedienst Sensus verfügt derzeit über zwei Palliativpflegefachkräfte. Ab drei Pflegefachkräften dürfen wir SAPV anbieten. In der Regel entscheiden sich unsere Patient:innen dafür, dass wir die allgemeine ambulante Palliativversorgung übernehmen und natürlich eng mit dem Palliativpflegedienst und dem Palliativarzt zusammenarbeiten. Die meisten unserer Patient:innen möchten weiterhin von uns gepflegt werden, weil sich zwischen ihnen und unserem Pflegepersonal ein sehr enges Vertrauensverhältnis entwickelt hat.
Wie viele Menschen hast du ungefähr palliativ gepflegt?
Hanne: Alleine seit der Gründung meines Pflegedienstes habe ich sicher mehr als 100 Patient:innen palliativ versorgt. Manche nur wenige Stunden, manche aber auch mehrere Monate. Meist dauert die Palliativpflege zwischen zwei bis vier Wochen, wobei sich die Versorgung und Betreuung nach und nach erweitert.
Was ist elementar bei der finalen Palliativpflege?
Hanne: Neben der generellen pflegerischen Versorgung können beruhigende Worte und Gesten Unruhe und Ängste bei den Patient:innen mindern. Die Mundschleimhäute sollten immer feucht gehalten und die Körperpflege aufrechterhalten werden. Ganz wichtig ist auch eine individuelle Schmerztherapie, die natürlich ärztlich abgesprochen sein muss. In der Nacht sollte die Umgebung ruhig und die Beleuchtung gedämpft sein. Auch ist es wichtig, dass die sterbende Person wirklich bequem liegen kann. Zudem benötigen die Angehörigen ebenfalls Betreuung und viel Verständnis in dieser schweren Zeit – vor allem in den letzten Tagen und Stunden. Nicht zu vergessen sind die individuellen Vorlieben und Interessen der sterbenden Person wie leises Musikhören, Vorlesen, Kuscheln mit dem geliebten Haustier oder den Enkeln und Ähnliches. Palliativpflege bedeutet nämlich auch, die Lebensqualität bis zum letzten Atemzug zu verbessern und zwischenmenschliche Beziehungen aufrechtzuhalten, sofern dies gewünscht und möglich ist.
Inwiefern unterstützt ihr die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen auch seelisch und wo sind eure Grenzen?
Hanne: Zuhören und auf Ängste und Trauer eingehen ist Teil unserer Bezugspflege. Da wir leider nur einen begrenzten Zeitraum haben, binden wir ambulante Hospizdienste und Seelsorger:innen mit ein, damit die Familien die Unterstützung bekommen, die sie benötigen.
Welche Ängste haben Schwerkranke und Sterbende?
Hanne: Die Trennung und das Loslassen von Angehörigen und der Wunsch, eine bestimmte Person noch mal sehen zu können, belasten Patient:innen besonders. Viele leiden auch darunter nicht mehr alles selbst regeln beziehungsweise die Angehörigen nicht mehr unterstützen zu können. Zudem haben Sterbende meist große Angst vor Schmerzen.
Welche Ängste belasten Angehörige?
Hanne: Angehörige hoffen immer, dass die sterbende Person nicht lange leiden muss beziehungsweise keine Schmerzen hat. Auch Schuldgefühle, weil sie denken, nicht genug getan oder nicht schnell genug reagiert zu haben, belasten viele Angehörige todkranker Menschen. Grundlegend bereitet ihnen also die Macht- und Hilflosigkeit große Sorgen. Hinzu kommen häufig auch existenzielle Ängste.
Wie geht ihr damit um, wenn der/die Patient:in vorzeitig sterben möchte?
Hanne: Im besten Fall wurde eine notariell abgezeichnete Patientenverfügung hinterlegt, um den Wünschen der Patient:innen gerecht werden zu können. Häufig sind das Wünsche wie kein Krankenhausaufenthalt gegen ihren Willen, keine Ernährung über eine Sonde etc. Wenn die sterbende Person ihr Leben unter hausärztlicher und palliativärztlicher Absprache frühzeitig loslässt, kann das für Angehörige schwer zu akzeptieren sein. Wurde keine Patientenverfügung hinterlegt, entscheiden Ärzt:innen und Angehörige allein, sofern die sterbende Person nicht mehr dazu in der Lage ist. Daher raten wir immer dazu, dass der/die Patient:in rechtzeitig eine Patientenverfügung hinterlegt.
Sich von einem Menschen, den man über Jahre oder gar Jahrzehnte gepflegt hat, zu verabschieden, ist sicher auch für eine Pflegekraft sehr emotional. Wie kann man sich diese letzten Minuten vorstellen?
Hanne: Wenn die letzten Stunden nahen, bleiben wir bei unseren Patient:innen, die uns oft noch sehr freundliche und zufriedene Blicke schenken. Das Abschiednehmen ist auch für das Pflegepersonal sehr schwierig und traurig. Die Atmung der sterbenden Person wird irgendwann flacher und wir bereiten die Angehörigen auf den nahenden Abschied vor. Jede Bewegung, die man macht, den Trost, den man zuspricht, alles geschieht dann sehr leise, um die sterbende Person nicht zu stören. Wir halten ihre Hand, streichen ihr beruhigend über die Stirn und befeuchten die Lippen. In dieser Phase setzt die Atmung meist schon zum ersten Mal für eine längere Zeit aus. Wir nehmen die Angehörigen in die Arme und bleiben so lange, bis der/die Patient:in verstorben ist. Es dauert meist ein wenig, bis man es realisiert hat. Dann darf und sollte dem Trauerprozess Raum gegeben werden. Dazu gehört auch, dass manche Angehörige den Tod noch nicht wahrhaben können.
Die Pflegekraft nimmt darauf noch die Messung der Vitalzeichen vor, trägt den Todeszeitpunkt in die Dokumentationsakte ein und benachrichtigt den Hausarzt. Bis zum Eintreffen des Arztes schenken wir den Angehörigen unsere volle Aufmerksamkeit, spenden Trost und hören ihnen zu.
Häufig nehmen wir auch noch an der Trauerfeier teil, um uns von der verstorbenen Person zu verabschieden. Sofern gewünscht, pflegen wir auch danach noch einige Zeit freundschaftlichen Kontakt mit den Hinterbliebenen.
Deutschlandweite Kontaktdaten für Palliativpflege findet ihr auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP).
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